Intersektionalität/Interdependenz

Der Begriff der Intersektionalität hat sich in den letzten Jahren nicht nur im Bereich der Gender Studies als wissenschaftliches Paradigma etabliert. Dabei bleibt Intersektionalität ein offenes und nicht klar zu umreißendes Feld, in dem sich unterschiedliche rechtlich-politische wie theoretische Dimensionen und Konzepte verorten. Diese Offenheit ist gleichzeitig Ausgangpunkt vieler Kritiken als auch die eigentliche Stärke des Begriffs.

Die amerikanische Juristin Kimberlé Crenshaw brachte in den 1990er Jahren erstmals den Begriff intersectionality (oder auch intersectional analysis – im Deutschen Intersektionalität oder intersektionale Analyse) in die Debatten um die Zusammenhänge der Kategorien race, class, gender ein. Mit ihrer Metapher der Straßenkreuzung (englisch: intersection) versuchte sie die Gleichzeitigkeit und Wechselwirkung von Diskriminierungserfahrungen Schwarzer Frauen in Arbeitskämpfen deutlich zu machen.

Es geht also um Zusammenhänge zwischen (konstruierten) Differenzen und unterschiedlichen Ressourcenzugängen. Der Begriff der Intersektionalität beschreibt die Verknüpfungen unterschiedlicher Unterdrückungskategorien, also die Diskriminierung aufgrund von Herkunft, Klasse, Gender, Alter, etc. Diese sollten nicht nur als einzelne, isolierte Kategorien aneinandergereiht werden, sondern als sich wechselseitig bedingende und in Abhängigkeit zueinander wirkende, sowie in Herrschaftsstrukturen und -praktiken eingebundene, Mehrfachunterdrückungen betrachtet werden. Dabei geht es auch um eine Analyse der verwobenen Machtverhältnisse, die soziale Ungleichheiten strukturieren.

Inzwischen ist dieses Bild der Straßenkreuzung teilweise in die Kritik geraten, da es eine klare Trennung der einzelnen Diskriminierungserfahrungen (Straßen = Stränge) suggeriert und in der Rezeption zu oft doch nur als eine Addition der Kategorien interpretiert wird. Gleichzeitig bleibt der spezifisch-juristische Kontext von Cranshaw‘s Analysen oft unbeachtet.

Als Folge dieser Kritiken wird der Begriff der Interdependenz vorgeschlagen (vgl. Walgenbach et al 2007). Er bezieht sich weniger auf die Schnittstellen/Kreuzungen/Überschneidungen etc. sondern fokussiert die Verwobenheit, Wechselwirkungen und gegenseitigen Abhängigkeiten sowohl zwischen, als auch innerhalb der Kategorien selbst. Kategorisierungen werden dabei als (in sich) selbst interdependent, also als in sich heterogen strukturiert, gefasst, um unterschiedliche Positionierungen und Ressourcenzugänge nicht zu homogenisieren und zu essentialisieren. Soziale Ungleichheiten werden nicht mehr hierarchisch analysiert (Oben – Unten; ›Opfer‹ – Täter_in), sondern ihre Positionierungen innerhalb mehrdimensionaler Machtgefüge herausgestellt. Innerhalb dieser integralen Perspektive ist Gender nicht mehr nur eine von vielen Kategorien, sondern eine Kategorie, die sich aus unterschiedlichen Wechselbeziehungen zusammensetzt und selbst durch ihre Beziehungen zu anderen Kategorien strukturiert ist und so erst geschaffen wird.

Dieser kritische Ansatz soll ermöglichen Kategorisierungen und Kategorisierungsprozesse neu zu denken und die Komplexität dieser Konstruktionen zu erfassen. So können Abweichungen, Scheitern usw. mitgedacht und implizite Hierarchisierungen und Normativierungen sichtbar gemacht werden. Dies bietet wiederum die Möglichkeit produktive Handlungsoptionen zu entwickeln.

Vgl. zu diesem Thema auch den Artikel Intersektionalität und Hypertext von Friederike Reher in KRASS#3.

Als Einstieg ins Thema bietet sich der Artikel Intersektionalität – eine Einführung von Katharina Walgenbach (2012) an, den ihr auch online auf dem Portal Intersektionalität findet (www.portal-intersektionalität.de).

Zur Vertiefung empfehlen wir den Sammelband Gender als interdependente Kategorie. Neue Perspektiven auf Intersektionalität, Diversität und Heterogenität von Walgenbach et al. 2007.

 

Literatur:

Walgenbach, Katharina (2012): Intersektionalität – eine Einführung, [online: http://portal-intersektionalitaet.de/theoriebildung/schluesseltexte/walgenbach-einfuehrung/, letzter Zugriff: 21.07.2015].

Walgenbach, Katharina/Dietze, Gabriele/Hornscheidt, Antje/Palm, Kerstin (2007): Gender als interdependente Kategorie. Neue Perspektiven auf Intersektionalität, Diversität und Heterogenität, Opladen/Farmington Hills.

zurück zum Glossar

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert