In den 1970er Jahren begann der französische Psychologe und Philosoph Michel Foucault mit seiner „Analytik der Macht“. Insgesamt kann Macht als ein Kernbegriff innerhalb seines Werkes gelten. Das Verständnis von Macht veränderte sich im Laufe von Foucaults Arbeiten immer wieder. Er analysierte im Verlauf verschiedene Machttypen von der Disziplinarmacht zur Bio-Macht, von der Mikrophysik der Macht zur Gouvernementalität (siehe Gouvernementalität). Wichtig ist, dass diese Machttypen sich nicht ersetzten, Foucault vielmehr mit ihrem Auftreten Erweiterungen und Verschiebungen der Machttechniken in der Geschichte aufzeigte. Für die erste Ausgabe von KRASS und im Kontext des Themas Subversion und Widerstand scheint uns allerdings sein Macht-Verständnis in Der Wille zum Wissen. Sexualität und Wahrheit I und aus seiner späten Werk-Phase am wichtigsten.
Mitte der 1970er Jahre gab es einige Kritik an Foucaults Machtbegriff; er selbst sagte „ich weiß nicht so recht, wie ich da herauskommen kann“ (Foucault 2003:407). In den 1980er Jahren vollzog Foucault einige wichtige Revisionen in Bezug auf den Begriff der Macht. Im Kern drehte sich diese neue Beschäftigung um die Frage, wie m. den Widerstand des Subjekts denken konnte, wenn es kein Außerhalb der Macht gab, also jede politische Bewegung sich immer innerhalb des Machtnetzes bewegt. Daran schlossen sich Fragen nach der Regierung und dem Subjekt an. Er problematisierte die Mikroperspektive der Macht und überführte den Begriff in die Auseinandersetzung um Beziehungen zwischen Subjektivierung und Macht sowie Politik und Ethik. „Die Machtanalyse wird also nicht einfach verworfen, sondern gleichsam auf eine höhere Ebene gehoben und auf das Problem des Staates übertragen.“ (Sarasin 2005:177)
Uns geht es für die erste Ausgabe von KRASS um den produktiven und strategischen Machtbegriff Foucaults, der sich von den klassischen Konzepten und Vorstellungen von einem Souverän und juridischer sowie repressiver Macht absetzt. Macht ist keine fixierbare Größe oder eindeutig zu definieren, die Macht gibt es nicht, sondern sie steht für die unterschiedlichen Strategien, mit denen unterschiedliche Machttypen entstehen können. Unter Macht versteht Foucault kein allgemeines Herrschaftssystem, keine Regierungsmacht mit Institutionen oder eine Unterwerfungsart, sondern „die Vielfältigkeit von Kräfteverhältnissen, die ein Gebiet bevölkern und organisieren […]“ (Foucault 1983:93).
Kennzeichnend für Foucaults Begriff der Macht ist für uns:
Macht ist strategisch:
„[…] die Macht ist nicht eine Institution, ist nicht eine Struktur, ist nicht eine Mächtigkeit einiger Mächtiger. Die Macht ist der Name, den man einer komplexen strategischen Situation in einer Gesellschaft gibt.“ (Foucault 1983:94)
Freiheit ist die Voraussetzung von Macht, also Macht funktioniert nicht über (direkte) Repression: „Macht kann nur über »freie Subjekte« ausgeübt werden, insofern sie »frei« sind […].“ (Foucault 2005:257)
„In diesem Verhältnis ist Freiheit die Voraussetzung für Macht […].“
(Foucault 2005:257)
Es ist ein neues Verständnis von Macht als Beziehung, es geht nicht um Macht, sondern um Machtbeziehungen: „Wir wählen als Gegenstand der Analyse nicht Macht, sondern Machtbeziehungen […].“ (Foucault 2005:254)
„Die Frage lautet nicht, wie Macht sich manifestiert, sondern wie sie ausgeübt wird[…].“ (Foucault 2005:251)
Macht ist eine Form der Normalisierung und kann nicht eindeutig lokalisiert werden. Macht ist überall und kommt von überall:
„Allgegenwart der Macht: nicht weil sie das Privileg hat, unter ihrer unerschütterlichen Einheit alles zu versammeln, sondern weil sie sich in jedem Augenblick und an jedem Punkt – oder vielmehr in jeder Beziehung zwischen Punkt und Punkt – erzeugt.“ (Foucault 1983:94)
Es ist eine depersonalisierte Macht, es gibt keinen Souverän oder König mehr, sondern Macht ist ein produktives Netz. Es ist eine intentionale Macht, die nicht repressiv ist, sie schafft etwas anstatt etwas zu nehmen:
„Die Machtbeziehungen sind gleichzeitig intentional und nicht-subjektiv.“ (Foucault 1983:95)
„Diese Macht ist nicht so sehr etwas, was jemand besitzt, sondern vielmehr etwas, was sich entfaltet […]. Andererseits richtet sich diese Macht nicht einfach als Verpflichtung oder Verbot an diejenigen, welche »sie nicht haben« […], die Macht verläuft über sie und durch sie hindurch[…].“ (Foucault 1994: 38)
Macht kann als Handlung verstanden werden:
„Macht existiert nur als Handlung [in actu], auch wenn sie natürlich innerhalb eines weiten Möglichkeitsfeldes liegt, das sich auf dauerhafte Strukturen stützt.[…].In Wirklichkeit sind Machtbeziehungen definiert durch eine Form von Handeln, die nicht direkt und unmittelbar auf andere, sondern auf deren Handeln einwirkt.“ (Foucault 2005:255)
„[Die Macht] ist ein Ensemble aus Handlungen, die sich auf mögliches Handeln richten, und operiert in einem Feld von Möglichkeiten für
das Verhalten handelnder Subjekte. […] Sie ist auf Handeln gerichtetes Handeln.“ (Foucault 2005:256)
Innerhalb von Foucaults Theorie der Macht, kann es kein Außerhalb der Macht geben. Das heißt, dass sich soziale Bewegungen und soziale Kämpfe immer innerhalb der Machtverhältnisse bewegen:
„Wo es Macht gibt, gibt es Widerstand. Und doch oder vielmehr deswegen liegt der Widerstand niemals außerhalb der Macht.“
(Foucault 1983:96)
In seinen späteren Arbeiten versucht Foucault auch die Begriffe Macht und Herrschaft analytisch zu trennen. Sobald die Machtbeziehungen erstarren und sich als unveränderlich erweisen, tritt der Zustand von Herrschaft ein.
Foucault, Michel (1983): Der Wille zum Wissen. Sexualität und Wahrheit I, Frankfurt a.M. Foucault, Michel (1994): Überwachen und Strafen. Die Geburt des Gefängnisses, Frankfurt a.M. Foucault, Michel (2003): Das Spiel des Michel Foucault (Gespräch), Schriften in vier Bänden, Band 3; 1976-1979, hg. von Daniel Defert und François Ewald, Frankfurt a.M. Foucault, Michel (2005): Subjekt und Macht, in: Michel Foucault, Analytik der Macht, Frankfurt a.M., S.240-263. Sarasin, Philipp (2005): Michel Foucault. Zur Einführung, Hamburg