Sexarbeit

Auf einmal ist wieder von ›Prostitution‹ die Rede. Vergessen scheint, dass feministische Bewegungen und Aktivist_innen des ›Gewerbes‹ alternativ zu stigmatisierender Wortwahl den Begriff Sexarbeit (sex work) etabliert haben (vgl. BAYSWAN). Hiermit wurde die Zugehörigkeit zum Dienstleistungssektor herausgestellt und der Kampf um Arbeitsbedingungen eröffnet. Doch war dies womöglich nur ein kurzfristiger Gewinn? Im Kontext jüngerer Diskussionen verschiebt sich der Fokus auf sexualisierte Gewalt. Aktiviert werden Bilder von Sexarbeiter_innen als Opfer. Immer wieder wird ein automatischer Zusammenhang zwischen Sexarbeit und Menschenhandel hergestellt. Der Diskurs dreht sich nicht um Subjekte, die versuchen, das Beste aus tendenziell schwierigen Lebensbedingungen zu machen und vielleicht solidarisch oder sogar kollektiv ihre Leben bzw. gesellschaftliche Bedingungen zu verbessern. Vielmehr werden diejenigen, die ihrer Selbstbestimmung beraubt, enteignet, gehandelt oder versklavt werden, auch noch vom Diskurs in einen Objekt-Status verwiesen. Im Gegenzug entstehen allerdings auch neue Initiativen wie zum Beispiel der 2013 in Deutschland gegründete Berufsverband für erotische und sexuelle Dienstleistungen (BesD). Der BesD kritisiert das sogenannte Schwedische Modell, das eine erneute Kriminalisierung von Sexarbeit und verstärkte Repression bewirkt, weist die automatische Kopplung von Prostitution und Frauenhandel ebenso wie beflissene Rettungspolitiken zurück und setzt sich stattdessen für Entkriminalisierung, gesellschaftliche Anerkennung und verbesserte Arbeitsbedingungen ein.
Mit diesen Forderungen und Kritiken bezieht sich der BesD auf das Gesetzespaket, das 1998 in Schweden in Kraft getreten ist. Es kriminalisiert und setzt die Freier der Strafverfolgung aus. Prostitution gilt als Gewalt gegen Frauen; Frauen werden als in ihrer Integrität gefährdete und zu schützende Gruppe konzipiert. Automatisch wird vorausgesetzt, dass sexuelle Dienstleister_innen Frauen sind; keinesfalls wird die Möglichkeit in Betracht gezogen, dass jemand freiwillig Sexarbeit leisten könnte. Wenngleich lediglich die Freier kriminalisiert werden, kommt das Gesetz, so die Kritik, für die sexuellen Dienstleister_innen einem Berufsverbot gleich. Die dennoch stattfindende Sexarbeit findet seitdem zunehmend heimlich und unter prekären Bedingungen statt. Seit 2014 liegt ein Entwurf für eine Entschließung des Europäischen Parlaments vor, der den übrigen EU-Staaten nahelegt, ihre Gesetzgebung am sogenannten Schwedischen Modell zu orientieren. Für den Sommer 2015 plant der BesD hierzulande eine Protestaktion gegen Pläne der Bundesregierung zur Reglementierung der Prostitution. Forderungen des BesD lauten: Freie berufliche Betätigung in der Prostitution, rechtliche Gleichstellung von Sexarbeit mit anderen Erwerbstätigkeiten, Regulierung von Prostitutionsstätten nach § 14 Gewerbeordnung, statt Sonderrecht, Anerkennung selbständiger Prostitution als freiberufliche Tätigkeit (vgl. BesD e.V.).
Der vielleicht doch noch nicht gänzlich überholte Begriff der Sexarbeit würdigt Kontexte, dank derer seit Anfang der 1980er Jahre der Begriff ›Hure‹ zum selbstbewussten Kampfbegriff einer sich formierenden Selbstorganisation avancieren konnte; ein Bewusstsein dafür entstand, dass Sexarbeiter_innen diversen Geschlechtern zugehören können; Diskussionen um die Ehe als staatlich legitimierte Institution sexueller Ausbeutung angezettelt wurden (vgl. Singer 1993); und der Begriff der Sexarbeit schließlich um den der sexuellen Arbeit erweitert wurde (vgl. Boudry et al 1999). Sexuelle Arbeit verweist darauf, dass letztlich alle Menschen, einige mit mehr, andere mit weniger Aufwand bzw. einige mit mehr, andere mit weniger Privilegien, psychische und soziale Arbeit leisten, um sich als geschlechtliche und sexuelle Subjekte zu konstituieren und als solche ihren Platz in Arbeitswelt, Zuhause und Gesellschaft einzunehmen. Um einem Retter_innendiskurs entgegenzutreten und solidarische Praxen zu forcieren, könnte es interessant sein, Sexarbeit und sexuelle Arbeit zusammenzudenken. Gemäß dem Motto der Konferenz Fantasies that Matter. Images of Sexwork in Media and Art (Kampnagel Hamburg, 2014) könnte zudem das Nachdenken über soziale Praxen der Sexarbeit mit dem über Bilder der Sexarbeit gekoppelt werden. Letzteres beschränkt sich nicht auf die Kritik vorherrschender stigmatisierender oder exotisierender Bilder oder das Entwerfen beglückender Gegenbilder, sondern fragt nach den Wirkungsweisen von Bildern und den damit verbundenen Repräsentationspolitiken (siehe dazu auch den Artikel Bild_Hure_Bild. Sexarbeit und die politischen Potenziale des Wartens von Antke Engel in KRASS#3).

Gastbeitrag von Antke Engel

 

Literatur:

BAYSWAN (Bay Area Sex Worker Advocacy Network): The Etymology of the terms ›Sex Work‹ and ›Sex Worker‹, San Francisco, [online: http://www.bayswan.org/sexwork-oed.html, letzter Zugriff: 7.3.2015].

BesD e.V. (Berufsverband erotische und sexuelle Dienstleistungen e.V.): Unsere Forderungen, Wuppertal, [online: http://berufsverband-sexarbeit.de/politik/forderungen/, letzter Zugriff: 6.3.2015]

Singer, Linda (1993): Erotic Welfare. Sexual Theory and Politics in the Age of Epidemic, London.

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